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Inspiration durch kreative Unbehaglichkeit?

Ein Arbeitsumfeld zu schaffen, welches das kreative Potenzial der Mitarbeiter fördert, ist Ziel vieler Unternehmen – und die Gründe hierfür liegen klar auf der Hand.

Wenn man einmal auf sein eigenes Unternehmen schaut, sind es die kreativen Projekte und Kampagnen, die Aufsehen erregen. Und die Unternehmen mit dem größten kreativen Output bekommen nicht nur eine höhere öffentliche Aufmerksamkeit, sondern übertrumpfen ihre Wettbewerber zumeist in den Bereichen Umsatzsteigerung und Marktanteile. Damit steigt die Wahrscheinlich, bald zu den Marktführern zu gehören. Einige große Unternehmen liefern ihren Mitarbeitern mehr Ansporn, indem sie außergewöhnliche Ereignisse für sie ermöglichen. Google hat zum Beispiel Lady Gaga einst als Lektorin ins Büro eingeladen. Die Deutsche Bank holte Helene Fischer.

Der feine Grat zwischen Unbehagen und Angst

Doch was, wenn Gaga und Fischer gerade nicht verfügbar sind? Dann gibt es noch einen anderen, vielleicht gern übersehenen Weg, um auf lange Sicht Inspiration zu liefern: kreative Unbehaglichkeit. Eine Arbeitsumwelt, in der man sich unbehaglich fühlt, trägt zu mehr Kreativität bei, indem die Leute ihre Komfortzonen verlassen, aus normalen Gedankenmustern ausbrechen und sich verpflichtet fühlen, anders bzw. origineller zu denken und Risiken einzugehen.

Unbedingt beachten sollte man an dieser Stelle aber bitte die feine Linie zwischen kreativer Unbehaglichkeit und in sich brütender Angst. Dieser Unterschied muss allen, die diesen Weg einschlagen wollen, ganz klar sein. Nur wer kreative Unbehaglichkeit versteht, kann ein Umfeld für maximalen Kreativitäts-Output schaffen. Ich persönlich kenne beides, doch kann ich nur klar den ersten Weg empfehlen.

Bei einem früheren Arbeitgeber wurde mein Team und ich durch penetrante Droh-E-Mails zu mehr Kreativität gezwungen. – Wenn wir für Unternehmen XY nicht morgen eine neue kreative Idee liefern, können wir uns auf was gefasst machen. – Das komplett durch Angst eingenommene Selbst reagierte in einer solchen  Situation mit natürlichen menschlichen Verhaltensweisen: Wir wurden unkoordiniert, angreifbar, fehlerhaft. Das Team wurde von Angst gelähmt: Angst zu versagen, Angst offen seine Meinung zu äußern. Beherrscht Angst das Arbeitsumfeld, verlieren wir die eigentlichen Ziele aus den Augen und beginnen, ganz automatisch, uns um uns selbst zu kümmern und uns zu schützen. In meinem Falle war dies die Einreichung meiner Kündigung.

Kreative Herausforderung = mehr Produktivität

Ich hatte meine Lektion gelernt. Noch so ein massiver Fehler, mich von einem Teamlead oder Arbeitgeber einschüchtern zu lassen, würde mir nicht noch einmal passieren. Und in der Tat: In meiner heutigen Anstellung gibt es keinen Schlag auf den Hinterkopf, wenn etwas nicht funktioniert. Stattdessen arbeiten wir mit Evaluation, Anpassung und offenen Feedback-Runden. Wir analysieren, warum etwas funktioniert hat oder nicht und erörtern, wie wir es gegebenenfalls noch besser machen können. Es ist nicht immer schön, es ist herausfordernd – unbehaglich – doch was an dieser Stelle zählt, sind die Ergebnisse, die es bringt. Denn im Gegensatz zur Angst, die ein komplettes Team aufgrund menschlicher Instinkte versagen lässt, sind wir hier erst am (mitunter unschönen aber aushaltbaren) Punkt der Unbehaglichkeit angekommen. Dieses Gefühl wollen wir abstellen und begeben uns auf die Suche nach Alternativen, neuen Wegen, verrückten Ideen. In solch einer Umgebung ist es in Ordnung, zu hinterfragen, kritisch anzumerken und sich auch mal negative Szenarien auszumalen. Es herrscht ein reger, produktiver Austausch miteinander und über verschiedene Levels hinaus.

Das Arbeitsumfeld der kreativen Unbehaglichkeit erfordert eine Menge Fingerspitzengefühl und bedarf einiger Schritte zur Vorbereitung:

1. Aller Anfang ist Kommunikation.

Offene und vor allem ehrliche Kommunikation zwischen allen Teams und Levels fördert das Verständnis für Ziele, Herangehensweisen und Kontext bei jedem Einzelnen. Wenn jeder weiß, was von ihm erwartet wird, was er im Gegenzug von seinem Team fordern kann und wie die gemeinsame Arbeit auf die Ziele der Abteilung oder des Unternehmens einzahlt, kann proaktiv gearbeitet werden, nicht nur reaktiv.

2. Wir sind ein Team.

Anstatt ein Meeting aufzusetzen, in dem man seine Mitarbeiter mit Aufgaben und nächsten Projekten überhäuft, sollte man sich von Beginn an ihren Input einholen. Wenn ein neues Projekt ansteht, ist es sinvoll, sich mit dem gesamten Team zusammenzusetzen, um sich Umfang, Aufgaben und Strukturen bewusst zu machen. Man sollte gemeinsam ein Aktionsplan erstellen, der alle Teamkompetenzen bündelt und in die richtigen Bahnen lenkt. Durch die gemeinsame Erarbeitung ist jeder in der Lage, seinen Part zu verstehen und erfolgereich umzusetzen. Mitarbeiter, die nicht nur angetrieben, sondern angeleitet werden, haben ein klareres Verständnis davon, was sie tun und warum sie es tun und können so jedem Projekt einen großen Mehrwert bieten.

3. Vertrauen.

Werden Mitarbeiter und Teams früh einbezogen, kann sich stetes Vertrauen entwickeln. Und das ist, was es Mitarbeitern erlaubt auch mal Risiken einzugehen, scheitern zu dürfen und unkonventionelle Wege einzuschlagen. Das braucht Raum, den manchmal die Führungsebene durch einen Vertrauensvorschuss schaffen kann oder sich manchmal das Team erst verdienen muss – Moment der Unbehaglichkeit inklusive, die es zu fördern gilt.

4. Prüfen, neu abwägen, wiederholen.

Wie gut die Team-Freiheit funktioniert, muss in regelmäßigen Abständen überprüft werden. Nicht alles klappt direkt beim ersten Mal. Denn während einige dadurch ihrer Kreativität freien Lauf lassen können, sind andere mit dieser Eigenständigkeit vielleicht überfordert und brauchen mehr Anleitung. Bereit zu sein, neu umzudenken und umzustrukturieren, hält die Teams in ihrem Raum der kreativen Unbehaglichkeit, ohne dabei in den Bereich der Angst abzudriften. In welchen Abständen Feedbacks eingeholt werden sollten, kann von Team zu Team variieren. Es sollte jedoch regelmäßig geprüft werden, wie die Gruppenmitglieder miteinander kommunizieren und wie das Projekt dabei vorankommen. Und während wir die Freiheit erleben neue Dinge auszuprobieren, können wir uns auf die Suche machen, unser ganz persönliches, optimales Produktivitätslevel zu finden.

5. Kreative Motivation.

Wer seine Angestellten zu kreativen Höchstleistungen antreiben will, sollte zur Inspiration selbst ab und zu die ausgetretenen Wege verlassen. Dem Team zum Beispiel zu sagen, dass der User der kürzlich programmierten Testseite begeistert ist, motiviert das Team gegebenenfalls mehr, als nur ein Go vom Auftraggeber. Potenzielle Zielunternehmen zum ersten Mal anzusprechen, sei es zum Mittagessen oder auf einer Konferenz, verursacht bei vielen Menschen Unbehagen, auch bei denen mit viel Berufserfahrung. Bringt dieses eine Gespräch jedoch ein entscheidendes Neugeschäft mit sich, hat sich all der Aufwand schon gelohnt.

 

Am Ende muss jedes Unternehmen und jede Führungskraft selbst entscheiden, welches Maß an kreativer Unbehaglichkeit das richtige für sich und das Team ist. Es wird vielleicht nicht sofort klappen, doch ein Versuch ist es wert. Und warum sollte man diesen Schritt nicht gehen, wenn am Ende ein produktiveres Team und ein besseres Arbeitsumfeld dabei herauskommt?