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Lieferkettengesetz an der Kette – sind Ökologie, Ökonomie und Soziales doch nicht vereinbar?

Viel Optimistisches war in der jüngeren Vergangenheit zur fortschreitenden Harmonisierung der Zielstellungen von Ökologie, Ökonomie und sozialen Fragen zu lesen – von Unternehmen als echten Change-Makern in Umweltfragen, der Begeisterung der Finanzmärkte für ESG-Investitionen oder engagierten CEOs für gesellschaftlichen Wandel und Solidarität.

Ein beachtenswertes Thema an dieser Schnittstelle ist die Unternehmensverantwortung für die ganze Lieferkette – und damit verbunden, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten sowie Haftungsfragen. Die Frage nach Lieferkettenverantwortung spült aktuell aber wieder eher hergebrachte Antagonismen an die Oberfläche, das zeigt die fast parallel stattfindende Diskussion entsprechender Gesetzesvorhaben bzw. Volksabstimmungen in Deutschland und der Schweiz.

In Deutschland ist ein entsprechendes „Lieferkettengesetz“ nicht nur Teil des aktuellen Koalitionsvertrages und vereintes Programm der Fachminister Heil (SPD) und Müller (CSU), sondern auch mutmaßlich erklärter Wunsch von Angela Merkel für ihre letzte Legislatur, und doch hat das Gesetz in zwei Vorlagen nicht das Bundeskabinett passiert und bis heute nicht den Weg ins Parlament gefunden.

Eine Fraktion rund um Wirtschaftsminister Peter Altmaier repräsentiert Vorbehalte aus der Industrie und plädiert zum Schutz der Unternehmen für eine eher schwache Variante des ursprünglichen Entwurfes, der auch nur noch für Unternehmen mit mehr als 5.000 MitarbeiterInnen in Deutschland gelten soll. Ökonomie auf der einen und Ökologie/Soziale Verantwortung auf der anderen Seite erscheinen wieder im Wettstreit.

Der Widerhall der Diskussion in Deutschland ist entsprechend interessant. 75% der Bevölkerung stimmen dem Gesetzesgedanken im Prinzip zu, auch CDU-WählerInnen befürworten das Vorhaben mehrheitlich. Stimmen gegen das Gesetz kommen z.B. vom Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, der hinterfragt, ob Unternehmen die Einhaltung von Menschenrechen in anderen Ländern überhaupt sicherstellen können und ob das nicht entsprechend eine politische Aufgabe ist, von Peter Altmaier, der eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen in dieser Frage für kritisch hält, oder vom BDI mit Blick auf einen internationalen Wettbewerbsnachteil.

Das letztere Argument ist insofern beachtlich, weil diese Regulation eigentlich als Umsetzung globaler Vereinbarungen der Vereinten Nationen erfolgt, und entsprechend in einigen Ländern längst umgesetzt (z.B. Frankreich) bzw. aktuell parallel diskutiert wird.

Zum Beispiel wird am 29.11.2020 in der Schweiz über die Volksinitiative zur Verantwortung von Unternehmen (kurz „Konzern-Initiative“) abgestimmt. Auch in der Schweiz mobilisiert das Thema sehr gut und die Umfragen in der Bevölkerung, auch durch die Unterstützung der auffällig guten Kampagne, sichtbar, deuten an, dass sich die Mehrheit der Konsumenten mehr Verantwortung durch Unternehmen wünschen.

Die Kampagne wird auch massiv aus der Zivilgesellschaft getragen, u.a. die Kirchen treten hier als interessanter politischer Akteur auf. Die Stimmen der Gegner kommen wie in Deutschland aus der Wirtschaft, aber auch die rechtskonservative SVP sieht hier eine Möglichkeit der politischen Profilierung und Mobilisierung.

In den Diskussionen in beiden Ländern ist allerdings auffällig, dass sich mehr und mehr auch Unternehmen und Konzerne als Unterstützer für mehr Lieferkettenverantwortung zu erkennen geben. In Deutschland haben sich u.a. bereits Tchibo, Ritter Sport, Nestlé und Kik auf einer Liste von insgesamt 42 Unternehmen zu dem Gesetzesvorhaben bekannt. Auch ALDI hat sich ungewohnt deutlich in dieser Frage politisch positioniert und als Unterstützer einer gesetzlichen Regelung für die Lieferkettenverantwortung deklariert, allerdings nicht nur auf nationaler, sondern auf europäischer Ebene.

Das Pro-Camp der Unternehmen führt übrigens, wie die Gegenseite, das Argument der Chancengleichheit bzw. gleicher Wettbewerbsbedingungen („level playing field“) ins Feld – nur mit umgekehrten Vorzeichen: wenn alle Marktteilnehmer sich verbindlich an Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen halten, herrscht für alle Beteiligten der Wertschöpfung ein fairer Wettbewerb. In dieser Perspektive scheint die Trias von wirtschaftlichem, sozialem und ökologischem Handeln wieder im Einklang.

Zahlreiche Cases demonstrieren, wie Technologie hier nützlicher Innovationstreiber sein kann. Insbesondere die Blockchain wird hier aktuell hoch gehandelt, in komplexen globalen Lieferketten für Transparenz und Vertrauen zu sorgen. Pilotprojekte von Ritter Sport, Nestlé oder Rewe deuten an, dass mit dieser Technologie in hoch agilen Umfeldern wie Lebensmittel, Vertrauen und Sicherheit auf sämtlichen Stufen der Wertschöpfung  möglich sind.

Diese Perspektive zeigt: nicht ein Prozess schöpferischer Zerstörung, wie es noch bei Schumpeter hieß, sondern kreative Innovation hat das Potential, in der komplexen Frage der Lieferkettenverantwortung die unterschiedlichen Zielstellungen zu harmonisieren. Die Corona-Krise hat die Verletzlichkeit von Lieferketten vorgeführt und Unternehmen vor große Herausforderungen gestellt.

Aber nicht nur aus ökonomischer, auch aus sozialer und ökologischer Sichtweise ist eine global integrierte Betrachtung unternehmerischer Wertschöpfung notwendig, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Wir finden: die entsprechenden nationalen Gesetzgebungen sollten hier von der Kette gelassen werden – das wäre ein gutes Signal für eine neue Wirtschaftsordnung „post-Corona“ und ein starker Anreiz für alle Unternehmen, Verantwortung wahrzunehmen.

 


Bild Credits: Banner – Unsplash under Creative Commons Zero Licence