Hafer-, Mandel-, Sojamilch, mit Laktose oder ohne, Bio-, Demeter-Qualität, H-Milch, Tetrapak, Glasflasche – oder, oder, oder: Dass zu wenig Milch da wäre, kann eigentlich niemand behaupten. Sogar von klimaneutraler Milch und zellbasierter Milch aus dem Labor ganz ohne Kuh war zuletzt die Rede. Kuhmilch allerdings wird so wenig getrunken wie noch nie seit Beginn der gesamtdeutschen Aufzeichnungen im Jahr 1991. Allein in den vergangenen 50 Jahren hat sich der Konsum so gut wie halbiert auf 47,8 Kilogramm in 2021, teilte das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft jüngst mit. Dazu trägt wohl auch die Gen Z ihren Teil bei. Und auch, wenn es nach den Plänen der EU-Kommission geht, steht bald weniger Kuhmilch auf den europäischen Frühstückstischen. Die Pläne aus Brüssel sehen vor, dass die Milchproduktion in der EU um mehr als 6 Prozent zurückgeht.
Das bedeutet: Die Milchindustrie steht vor riesigen Herausforderungen, mehr Nachhaltigkeit, Transparenz, Fairness und Tierwohl zu erreichen. Themen, die auch im Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung ihren Platz gefunden haben. Weiterhin offen ist nur, wer den Strukturwandel bezahlt. Die Milchindustrie versucht währenddessen, die Gen Z mit einer Kampagne inklusive Podcast namens „Let’s Talk Milch“ wieder einzufangen.
Vom Bauernhof in unsere Tassen oder: Farm-to-Fork
Die Pläne des BMELs wiederum sind Teil des Green Deals, dem umfassenden Konzept der Europäischen Union, die Treibhausgasemissionen der EU bis 2050 auf Null zu senken und als erster Kontinent klimaneutral zu werden. Im Rahmen der „Farm-to-Fork“-Strategie soll die europäische Landwirtschaft in den nächsten Jahren auf nachhaltigere Praktiken umgestellt werden. Die Vorhaben für Milch sind nur ein Teil davon, zeigen aber, wohin die Reise geht: Der Griff zu Haferdrink (25g CO2 je 100 Gramm) statt Vollmilch (194 g CO2 je 100 Gramm) könnte selbstverständlicher werden.
Denn: Kuhmilch wird immer teurer. Das könnte den Milch-Alternativen in die Karten spielen, denn zumindest der Preis wäre dann kein Ausschlusskriterium mehr. Eine Studie aus Kiel prognostiziert, dass sich bei den geplanten rund 13 Prozent weniger an Milchkühen die Rohmilchpreise um 36 Prozent erhöhen werden – nicht nur in Deutschland, in der gesamten EU. Im Verkauf müsste sich Milch um 122 Prozent verteuern, also mehr als doppelt so viel kosten, haben Forscher der Universität Augsburg berechnet, um die tatsächlichen Kosten abzubilden. Diese beinhalten nicht nur die Produktions-, sondern auch die Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft.
Ein Aufatmen für die Landwirt:innen, die schon lange mit viel zu niedrigen Preisen zu kämpfen haben? Nicht wirklich. Viele werden ihre Existenz verlieren. Kritiker wie Prof. Dr. Holger Thiele vom Institut für Ernährungswirtschaft Kiel sagen, dass sich die Emissionen, die bei der Milchproduktion entstehen, durch die Pläne nur ins Ausland verlagern. Eine Studie der Uni Wageningen kommt auch für andere Lebensmittel wie Getreide & Co. zu diesem Schluss.
Nur: Wir brauchen die Landwirt:innen in Europa, wenn wir nachhaltig produzierte Lebensmittel mit möglichst geringen Transportwegen haben wollen. Eine verlässliche, auf Jahrzehnte angelegte Umstrukturierung und ausreichende Finanzierungshilfen sind wichtig, damit die heimischen Bäuerinnen und Bauern eine Zukunft haben.
Der Preis ist heiß
Genau hier knatscht es aber noch, und das ist erst im Frühjahr durch die Milchpreis-Debatte wieder klargeworden. Angestoßen vom Agrardialog Milch, bei dem sich erstmals Lebensmitteleinzelhandel, Landwirtschaft, Lebensmittelhandel und Verarbeitungswirtschaft gemeinsam an einen Tisch setzten, wurde über den aktuellen Milchpreis verhandelt. Nach zähen Verhandlungen hatte man sich auf flächendeckende Milchpreisaufschläge geeinigt, doch dann schritt das Kartellamt ein und erklärte, das vorgestellte Finanzierungsmodell sei kartellrechtlich nicht zulässig. Aktuell erarbeitet der Agrardialog ein Konzept, das Nachhaltigkeitsaspekte stärker herausstellt und ist zuversichtlich, es damit in die Praxis zu schaffen.
Bessere Preise, mehr Nachhaltigkeit, mehr Tierwohl: Das wollen alle. Zuletzt wurde die Haltungsform-Skala auch für Milch eingeführt, um Verbraucher:innen mehr Transparenz zu bieten beim Milchkauf. Daraufhin hatten Edeka, Netto und Aldi angekündigt, perspektivisch nur noch Milch der Haltungsformstufen 3 und 4 anbieten zu wollen. Die Ankündigung rief prompt zahlreiche Bäuer:innen und Verbände auf den Plan, die sich von diesen Plänen abgehängt fühlen. Aldi reagierte mit der Aussage, den Wandel auch finanziell mittragen zu wollen.
Und jetzt: Haltung zeigen
Aldi schloss damit an die #Haltungswechsel-Kampagne an (passgenau während des Wahlkampfes zur Bundestagswahl gelauncht) und baute durch gezielte Multichannel-Kommunikation seine Position als „First Mover“ und „Tierwohl-Discounter“ in der Konsumentenwahrnehmung weiter aus. Und das, obwohl die Pläne zum Teil nicht unbedingt weitreichender sind als die der Konkurrenz und auch die Finanzierungsfragen oft noch offen sind. Dennoch: Die Ziele sind gesetzt und geben Anstoß zur Veränderung.
Und die Veränderung kommt, wenn auch zaghaft. Allein für Milch wurden jüngst gleich drei neue Programme vorgestellt: Da ist das neue Label QM+, das in Zusammenarbeit von LEH, Landwirten, Molkereien und der Initiative Tierwohl (ITW) entstanden ist und über die Haltungsform 1 hinausgehen soll. Und auch das Label der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) und der Start der ITW Rind macht deutlich: Es kommt Bewegung in die Branche.
Die vom Handel finanzierte Initiative Tierwohl baut schon seit einigen Jahren die Strukturen aus, die für eine schrittweise Verbesserung des Tierwohls für Schweine und Geflügel nötig sind. Mit der ITW Rind wurden nun erste Schritte in der Rinderhaltung gemacht. Auch für Milchkühe zeigt sich dabei, dass die Gräben zwischen den einzelnen Marktteilnehmern nicht unüberwindbar sind. Hart verhandelt wird nach wie vor: Für QM+-Milch sollen Erzeuger 1,2 Cent Preisaufschlag erhalten – deutlich zu wenig angesichts der aktuellen Milchauszahlungspreise und Kostensteigerungen, finden Branchenexperten. Der Handel müsse hier nachlegen. Denn: Die Inflation und die steigenden Preise für Energie, Dünger und Futtermittel machen sich auch in der Milchbranche bemerkbar. Im März 2022 lagen die Milcherzeugerpreise in Deutschland um 34,7 Prozent höher als im März 2021.
Am Beispiel Milch wird ersichtlich, dass vermeintlich reine „Verbraucherthemen“ meist erheblich komplexer sind, als es den Anschein hat. Kommunikator:innen wie wir stehen dabei häufig vor der Herausforderung, verschiedensten Stakeholdern gerecht zu werden.
Wann wird umgesetzt?
Entwicklungen wie diese machen vor allem eins deutlich: Nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen mehr Tierwohl, mehr Nachhaltigkeit, mehr Transparenz, mehr Fairness in der Nutztierhaltung. Wichtig ist jetzt, dass den ambitionierten Worten des Handels und der Politik auch Taten folgen.
Dafür müssen alle Akteure an einem Strang ziehen. Modelle, wie dieser Wandel funktionieren kann, liegen genug vor: Neben der Initiative Tierwohl gibt es noch den vieldiskutierten Borchert-Plan, der mögliche Wege der Finanzierung aufzeigt. Das neue Ministerium hat mittlerweile bereits erste Ansätze zur Diskussion gestellt, einen neuen Versuch für eine staatliche Tierwohl-Kennzeichnung zu starten – sofern denn mit der EU vereinbar. Der Liter Milch bleibt so oder so ein spannendes Beispiel dafür, wie Deutschland und die EU ihre Landwirtschaft für die Zukunft aufstellen wollen – eine hoffentlich nachhaltigere Zukunft mit mehr Fairness und Mitgefühl für alle Lebewesen.