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Hingehört #BTW21 – Social Listening zur Bundestagswahl 2021: Wo bleibt die Landwirtschaft im Bundestagswahlkampf 2021?

Landwirtschaft war eines der konstanten gesellschaftspolitischen Reizthemen der vergangenen Jahre. Einerseits gab es anhaltende Kritik an der landwirtschaftlichen Praxis: mal mehr und mal weniger sachlich, mal mehr und mal weniger ideologisch geprägt. Andererseits haben Landwirte sich zur Macht des Lebensmitteleinzelhandels positioniert und dafür teilweise viel Zuspruch erhalten. Auch politisch wurde die Zuständigkeit innerhalb der Bundesregierung mitunter in Frage gestellt: 2017 initiierte das Bundesumweltministerium unter Bundesministerin Svenja Schulze die Reihe der BMU-Agrarkongresse, die seitdem jährlich stattfinden. Ureigene Domäne der Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner möchte man meinen? Schließlich nahm das Kanzleramt das Heft in die Hand und rief 2020 die Zukunftskommission Landwirtschaft ins Leben, die im Juli 2021 ihren Bericht vorlegte. Die Zukunft der Landwirtschaft – ein prädestiniertes Wahlkampfthema also? Wir haben hingehört und die politische Debatte zur Zukunftskommission Landwirtschaft auf Twitter von Ende Juni bis Anfang August analysiert.

Nach rund zehn Monaten Beratung übergab Prof. Peter Strohschneider, Vorsitzender der Zukunftskommission Landwirtschaft, am 6. Juli der Bundeskanzlerin Angela Merkel den Bericht der 31 Kommissionsmitglieder. Es ist der Kompromiss, auf den sich die Experten aus der Agrarbranche, aus Wissenschaft sowie aus Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutz geeinigt hatten, und der einen Weg für mehr Nachhaltigkeit, mehr Naturschutz und dennoch betriebswirtschaftlichen Erfolg in der Landwirtschaft zeichnen soll.

 

Von Wutbrief bis Bauernprotest – Landwirtschaft als prädestiniertes Wahlkampfthema. Oder?

 

Vorausgegangen war ein jahrelanges Ringen und anhaltende Kritik, die bereits in vergangenen Legislaturperioden begonnen hatte: Sie reichte etwa vom Vorstoß von Bündnis 90/Die Grünen für einen Veggietag im Vorfeld der Bundestagswahl 2013, über die sich durchziehende Diskussion von Verunreinigungen im Wasser oder der Debatte um die Verantwortung der modernen Landwirtschaft am Insektensterben bis hin zur Diskussion um Tierwohl und Tierhaltung in Deutschland. Andererseits machten Landwirte ihrem Frust an einer Billigmentalität Luft: angefangen von dem „Wutbrief“ an die Bürger:innen auf dem Blog von Bauer Willi, der ihn 2015 bis in die Sendung von Günther Jauch brachte, gefolgt von bundesweiten Frühstücken auf öffentlichen Plätzen zu Ostern im Jahr 2016, um auf niedrige Erzeugerpreise aufmerksam zu machen, und kulminierend in dem großen Bauernprotest in Berlin 2019, bei dem die Veranstalter von 40.000 Teilnehmern sprachen und die Polizei 8.600 Trecker in der Bundeshauptstadt zählte. Nach diesen Jahren zähen politischen Ringens und Protest sollte nun im Jahr 2020/21 die Zukunftskommission Landwirtschaft den Gordischen Knoten durchschlagen.

 

Reaktionen auf den Bericht der Zukunftskommission

 

Landwirtschaft bei der SPD

Bereits am 30. Juni 2021 kommunizierte vor allem Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner über das Expertengremium. Die Zukunftskommission Landwirtschaft hatte am Abend zuvor ihren Abschlussbericht verabschiedet. Und bereits hier deutete sich eine Entwicklung an, die sich auch in den folgenden Wochen zeigte: Die Beiträge von politischen Parteien zur Zukunftskommission Landwirtschaft mit dem meisten Engagement stammten nicht von der Union – den zwei Parteien, die seit 16 Jahren das Ressort Landwirtschaft führen –, sondern von der SPD bzw. dem Bündnis 90/Die Grünen.

Wie so oft wirkt Kritik lauter als Sachpolitik. Die SPD sorgte bei der Verabschiedung des Berichts Ende Juni mit ihren Posts für das meiste Engagement.

 

 

Landwirtschaft bei Bündnis90/Grüne

Der zweite Peak der Twitter-Kommunikation der politischen Parteien wurde am 6. Juli verzeichnet, dem Tag der Übergabe des Kommissionsberichts an Bundeskanzlerin

Angela Merkel. Diesmal stammte der Post einer Partei mit den meisten Engagements von Bündnis 90/Die Grünen: eine Breitseite an die Agrarpolitik der Union – auch indem die Fähigkeit zum Kompromiss der nicht allzu oft übereinstimmenden Agrar-, Umwelt- und Verbraucherverbände hervorgehoben wird.

Bei den politischen Tweets werden so die Wahlkampfzeiten sichtbar. Ein weiteres Beispiel: Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner geht in einem Tweet den Staatssekretär des SPD geführten Bundesumweltministeriums, Jochen Flasbarth, an und sieht sich gleichzeitig in ihrer Arbeit bestätigt.

Landwirtschaft bei Julia Klöckner

 

Landwirtschaft – keine Relevanz im Wahlkampf?

 

Aber selbst wenn in einzelnen Tweets von Parteien und Spitzenpolitikern ein verstärkter Wahlkampf durchscheint, so ist letztlich doch etwas anderes auffällig: die geringe Anzahl der Beiträge insgesamt, die sich hauptsächlich auf den 30.06. und 06.07. beschränken. Das bei einem gesellschaftspolitischen Thema, das über Jahre teilweise aufs Schärfste diskutiert und schließlich zum Kanzlerinthema wurde. Ebenfalls erstaunlich scheint, dass das Bundesumweltministerium auf seinen sozialen Kanälen ungewöhnlich ruhig blieb. Weder auf Twitter, Instagram noch auf Facebook bezog das BMU zum Abschlussbericht Stellung. Es gab lediglich eine Pressemitteilung veröffentlichte.

Schaut man auf die Post, die jenseits von Parteien und dem politischen Spitzenpersonal veröffentlicht wurden, so wird ein Phänomen sichtbar, das man in diesen Wochen auch an anderer Stelle beobachten kann: Statt einer inhaltlichen Bewertung der Politik der Bundesregierung und des zuständigen Ressorts, gab es erneut viel Personenkritik. Sie bezog sich im Beobachtungszeitraum Ende Juni bis Anfang August aufgrund der Suchbegriffe vermehrt auf Politiker:innen von CDU/CSU. Im Vergleich zur Kritik an beispielsweise der Spitzenkandidatin von Bündnis 90/ Die Grünen, Annalena Baerbock, wurden die Unions-Politiker:innen verstärkt wegen ihrer Verbindungen zur Industrie und ihren Umgang mit Geldern kritisiert. Und das Thema Landwirtschaft war bestenfalls der Aufhänger für eine weiterreichende Ablehnung. Vor allem der Spitzenkandidaten der CDU, Armin Laschet, sowie die Minister:innen Klöckner, Scheuer und Spahn standen im Fokus.

 

 

Die drei Beiträge von Twitter-Nutzern jenseits der Parteien und Politiker mit dem meisten Engagement im Beobachtungszeitraum.

 

Die Analyse zur Zukunftskommission Landwirtschaft lässt auch die Hybris in den Sozialen Medien, insbesondere Twitter, erkennen: Der Post mit dem meisten Engagement kritisiert einerseits den Personenwahlkampf zwischen den Spitzenkandidat:innen, um dann mögliche Minister:innen des nächsten Kabinetts persönlich zu kritisieren.

 

 

Social Listening auf Twitter: unser Vorgehen

Jede Wahl ist entscheidend, doch die Bundestagswahl 2021 markiert gleichzeitig das Ende der Ära Merkel und einen Paradigmenwechsel in der klassischen Parteienkonstellation der Bundesrepublik. Welche Themen stehen dabei im Vordergrund, vor allem aber welche Kommunikationsinstrumente prägen den Wahlkampf der Parteien und Spitzenkandidaten? Wir schauen in den nächsten Wochen und Monaten genauer hin, u. a. mit einem Social Listening der politischen Diskussionsplattform Twitter. Alle 2 Wochen #BTW2021

Mit Hilfe des Social Media Listening Tools Talkwalker wurde ein Suchstrang kreiert, der relevante Twitter-Nennungen zur Bundestagswahl 2021 ausgibt. Thematisch wurden die Inhalte der Wahlprogramme als Clusterthemen für die Analyse herangezogen. Dabei wurden Tweets der Bundesparteien CDU, SPD, Bündnis90/ Die Grünen, FDP und DIE LINKE sowie deren Fraktionen im Bundestag ebenso analysiert wie Tweets über die Parteien und Fraktionen in Zusammenhang mit bestimmten Themen. Der Suchstrang zur Zukunftskommission Landwirtschaft erzielte 7.800 Posts im Zeitraum vom 30.06. bis 03.08.2021. Im Rahmen dieses Ergebnisses wurden Zusammenhänge, Relevanz, Häufigkeit, Engagement sowie Tonalität untersucht.

 

Weitere Beiträge zur Bundestagswahl 2021:

Hingehört #BTW21 – Social Listening zur Bundestagswahl 2021: Bildung

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Bild-Credit: Photo by freestocks.org via pexels.com under CreativeCommons-Zero Licence