Was hatten wir für Visionen! Der Fahrersitz als Wellness-Oase, der Stau am Brenner als „Me-Time“, Taxifahrten ohne smalltalkende Fahrer:innen – und das schon bald! Doch nach der ersten Technik-Euphorie, als jede Fahrerassistenzfunktion als Next Big Thing gefeiert wurde, ist es in letzter Zeit stiller geworden um die selbstfahrenden Autos. Mittlerweile sind wir mitten im Entwicklungsprozess angekommen und stellen fest, dass auch Revolutionen ihre Zeit brauchen. Außerdem, was heißt das schon – autonomes Fahren? Selbst Einparken können Autos ja schon länger, also wo bleibt der Rest?
Um das zu ergründen, lohnt sich ein Blick darauf, was autonomes Fahren eigentlich bedeutet. Weltweit anerkannt ist die Klassifizierung der SAE International, die Straßenfahrzeuge in sechs Automatisierungsstufen einordnet. In den Levels 0 (keine Automatisierung), 1 (Assistenzsysteme, z.B. Einparkassistent) und 2 (Teilautomatisierung) müssen Fahrer:innen das Auto zu jeder Zeit überwachen.
Level 2 und 2+ umfassen beispielsweise die bereits von mehreren Herstellern verfügbaren Stauassistenten. Die funktionieren schon ziemlich gut – und zwar gerade so gut, dass Autofahrer:innen zuweilen das gefährliche Gefühl haben, sie dürften das System aus den Augen lassen. Das ist aber nicht erlaubt. Keine Zeit also, die Steuererklärung zu machen oder endlich mal Die Buddenbrooks zu lesen.
In der nächsthöheren Automatisierungsstufe 3 (bedingte Automatisierung) steuert sich das Fahrzeug in in einem bestimmten Szenario vollständig selbst. Fahrer:innen dürfen beispielsweise lesen oder Videos ansehen, müssen aber nach Aufforderung des Fahrsystems kurzfristig eingreifen können. Ein Nickerchen ist also immer noch nicht drin. Bisher bietet nur ein Hersteller ein solches Fahrsystem in Serien-PKW an, und das ist…
Nein, nicht der.
Mit dem Drive Pilot ist Mercedes der erste Hersteller, der ein hochautomatisiertes Fahrsystem nach Stufe 3 anbietet. Mit strengen Einschränkungen: Nur auf der Autobahn, bis 60 km/h, bei Tageslicht, nicht in Tunneln oder Baustellen und nur bei mehr als drei Grad Celsius. Außerdem ist das (bisher) nur in Deutschland und Nevada erlaubt. Irgendwie ist es also immer noch kompliziert.
Bei Stufe 3 sind wir aktuell in der erstaunlichen Situation, dass die deutsche Gesetzgebung der Technik voraus ist: Seit Anfang 2023 ist es erlaubt, auf Autobahnen bis zu einer Geschwindigkeit von 130 km/h automatisiert gemäß Level 3 zu fahren. Noch gibt es aber kein Fahrsystem, das diesen Geschwindigkeitsbereich abdeckt, auch wenn BMW mit seinem gerade vorgestellten Autobahnassistenten auf Level 2+ nah dran ist.
Jenseits davon wird es futuristisch: Auf Level 4 (hochautomatisiert) übernimmt das Fahrzeug in einem bestimmten Fahrszenario alle Fahraufgaben selbst – hier dürften Fahrer:innen sogar während der Fahrt schlafen. Sind sie dann noch Fahrer:innen? Spätestens auf Level 5 nicht mehr: hier gibt es keine Fahraufgaben mehr zu übernehmen und auch keine Möglichkeit mehr, einzugreifen. Das Auto fährt autonom.
Warum können Autos das noch nicht?
Weil der Straßenverkehr einfach wahnsinnig kompliziert ist. Aus gutem Grund fühlt sich das automatisierte Fahrzeug auf der Autobahn am wohlsten. Denn dort gibt es keinen Gegenverkehr, keine Ampeln, wenige Schilder, keine Fußgänger, Fahrradfahrer, Kreuzungen, Zebrastreifen – kurzum, all das, was im Stadtverkehr für eine Informationsflut sorgt, die unser menschliches Gehirn intuitiv bewältigt.
Ist ein Mensch 1,05 Meter groß oder 1,95? Geht oder steht oder bückt er sich? Wie schnell ist so ein Mensch? Trägt er einen Hut oder einen Rucksack oder ein Karnevalskostüm mit Schmetterlingsflügeln? Dass zum Wissen nicht nur Sehen, sondern auch Erkennen gehört, wird selten deutlicher. „Sehen“ kann ein Auto mittlerweile gut – viele verschiedene Sensoren rund ums Fahrzeug, wie Radar, Kameras und Lidar, sorgen für eine Rundumsicht, die der des Menschen weit überlegen ist. Und doch fällt es ihm manchmal schwer, zwischen einem echten Kind und einem kinderförmigen Warnschild zu unterscheiden (womit das Schild wiederum ausgezeichnet seinen Zweck erfüllt).
Eine weitere Herausforderung für das Auto ist, ohne Witz, der flexible Umgang mit Regeln. Das Computergehirn liebt klare Regeln. Eine durchgezogene Linie darf man nicht überfahren. Wenn der eigene Fahrstreifen blockiert ist, bleibt das brave autonome Fahrzeug also stehen. Und steht. Doch in welchem Fall ist das Überfahren der Linie eine akzeptable Notlösung? In diesem Dickicht aus Einzelfallentscheidungen, halblogischem menschlichen Verhalten und den Unwägbarkeiten des täglichen Lebens muss sich eine künstliche Intelligenz erst einmal zurechtfinden lernen. Und wenn sie gelernt hat, muss getestet werden, und zwar gründlich, denn wir vertrauen ihr unser Leben an. Aus technischer Sicht ist das eine ähnlich komplexe Herausforderung wie die Entwicklung selbst.
Nicht zuletzt sind noch einige Fragen zu klären, die jeweils ihre ganz eigene Erörterung verdienen. Fest steht: Hochautomatisierte und autonome Fahrzeuge werden den Straßenverkehr deutlich sicherer machen. Aber kein System ist perfekt. Können wir es akzeptieren, dass Unfälle nicht durch menschliches, sondern durch maschinelles Versagen entstehen – selbst wenn das deutlich seltener vorkommt? Und wer trägt die rechtliche und finanzielle Verantwortung für solche Fehler?
Wann ist es denn endlich so weit?
Ganz ehrlich: Gute Frage. Auch die Automobilindustrie kann nicht alles gleichzeitig machen, und aktuell liegt der Fokus – aus guten Gründen – auf der Elektromobilität. Diese Umstellung bindet nicht nur Kapazitäten, sondern auch politische, finanzielle und mediale Aufmerksamkeit. Dennoch wird in den Forschungsgehirnen von Herstellern und Zulieferern fleißig weiter getüftelt: Branchenexperten prophezeien für die nächsten zehn bis 15 Jahre ein enormes Wachstum im Markt für Assistenzsysteme und teilautonome Fahrzeuge, wovon die deutsche Automobilindustrie mit ihren technologieführenden Flaggschiffen profitieren kann. Besonders vielversprechend sind autonome Fahrsysteme aus wirtschaftlicher Sicht auch in Taxen, Bussen oder LKW. Wenn der LKW den Autobahn-Anteil seiner Strecke autonom zurücklegt und erst kurz vor der Ausfahrt wieder von Fahrer:innen übernommen wird, spart das viel Geld, verbessert (hoffentlich) die Arbeitsbedingungen der Fahrer:innen, und löst das dringende Problem des Personalmangels in dieser Branche. Und autonome Taxis und Busse werden bereits in einigen Modellprojekten getestet und bieten eine große Chance, um ländliche Regionen wieder besser an den öffentlichen Nahverkehr anzubinden. Es tut sich also was auf dem Weg zum autonomen Fahren – auch wenn wir ein bisschen mehr Geduld haben müssen als ursprünglich gedacht.
Du outest dich als Nerd, wenn…
… du schonmal was vom Autonomobil gehört hast.
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