Bereits ein Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2014 deutet darauf hin, dass der Klimawandel bis 2050 jährlich für zusätzliche 250.000 Todesfälle verantwortlich sein könnte, verursacht durch Mangelernährung, Malaria, Durchfall und Hitzestress. Wenn man sich diese Zahl vor Augen führt, wird schnell klar, dass die Folgen des Klimawandels nicht nur eine ökologische, sondern auch eine massive Krise für die menschliche Gesundheit darstellen. Eine solide Forschungsbasis zu dem Thema hat sich in den letzten Jahren entwickelt. Laut eines Trendreports der WHO haben sich Berichte zu dem Thema zwischen 2011 und 2021 verzehnfacht, es hake aber bei der Umsetzung. Demnach sei multisektorale Zusammenarbeit in der Gesundheits- und Klimapolitik offensichtlich, doch die Fortschritte in diesem Bereich zwischen den Sektoren uneinheitlich. (WHO) Können Unternehmen eine tragende Rolle spielen, wo die Politik nicht schnell genug vorankommt?
Kein Gerede von Morgen – Wie der Klimawandel schon jetzt unsere Gesundheit beeinflusst
Mit steigenden Temperaturen, extremen Wetterereignissen und dem Anstieg des Meeresspiegels ergeben sich diverse direkte und indirekte Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Hitzewellen können zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen, während Überschwemmungen die Ausbreitung von wasserübertragenen Krankheiten wie Cholera begünstigen. Veränderungen im Klima beeinflussen auch die Verbreitung von Krankheiten wie Malaria, da sich die für ihre Übertragung verantwortlichen Mücken in neue Gebiete ausbreiten können.
Dabei haben die steigenden globalen Durchschnittstemperaturen – seit den 1880er Jahren um etwa 1°C – bereits jetzt schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen. In Europa beispielsweise führte die Hitzewelle 2003 zu mehr als 70.000 zusätzlichen Todesfällen. Solche extremen Wetterereignisse nehmen zu und gefährden insbesondere vulnerable Bevölkerungsgruppen. So zeigt auch ein Bericht des Lancet Countdown aus dem Jahr 2020, dass 310 Millionen ältere Menschen weltweit bereits einem erhöhten Risiko von Hitzestress ausgesetzt sind, ein Anstieg von 157 Millionen im Vergleich zu 1990.
Fakt ist: Der Klimawandel betrifft die Menschen nicht gleichermaßen. Vielmehr verschärft der Klimawandel bereits bestehende Ungleichheiten, da er diejenigen am stärksten trifft, die ohnehin schon einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Besonders gefährdet sind unter anderem Menschen mit geringem Einkommen, People of Color, insbesondere indigene Gemeinschaften, Arbeitnehmer:innen in gefährlichen Berufen, Menschen mit bereits bestehenden Gesundheitsstörungen und Obdachlose. Viele von ihnen leiden schon jetzt unter den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels, und ohne die Umsetzung dringender Maßnahmen werden sich diese noch erheblich verschlimmern. Nach Angaben des IPCC sind bereits heute knapp die Hälfte der Menschheit durch den Klimawandel „hochgradig gefährdet“.
Doch trotz dieser alarmierenden Daten und obwohl die wissenschaftliche Gemeinschaft eindringlich auf diese Probleme hinweist, bleiben politische Maßnahmen, praktische Handlungsansätze und resultierende Maßnahmen hinter den notwendigen Ambitionen zurück. Es gibt zwar globale Abkommen wie das Pariser Abkommen von 2015, doch lokale und nationale Initiativen speziell zur Gesundheitsvorsorge stehen noch aus oder in den Kinderschuhen. So hat Bundesminister Prof. Karl Lauterbach Ende Juli 2023 erstmals einen konkreten Hitzeschutzplan des Bundesgesundheitsministeriums für den Sommer vorgelegt, mit dem Fokus auf Kommunikation und Sensibilisierung zum Thema Hitzeschutz mit konkreten Verhaltenstipps.
Wenig Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung
Kommunikation, Sensibilisierung und konkrete Verhaltenstipps sind wichtig. Denn das Problembewusstsein innerhalb der Bevölkerung ist gering. Obwohl diverse Umfragen (verschiedener Bevölkerungsgruppen aus verschiedenen Ländern, bspw. Deutschland, USA, China) zeigen, dass ein Großteil der Population den Klimawandel als ernsthafte Bedrohung wahrnimmt, fehlt oft das Bewusstsein für die gesundheitlichen Auswirkungen, die er haben kann. Das Thema wird als globales, unpersönliches Problem wahrgenommen, das „weit weg ist“ und nicht als eine unmittelbare Bedrohung für das eigene Wohlbefinden.
Auch Vertreter:innen des Gesundheitswesens sind sich des Zusammenhangs zwischen dem Klima und ihrer unmittelbaren Gesundheit oft nicht bewusst. Die Aufklärung zu dem Thema ist bis dato begrenzt, und sie sind in der Regel nicht darauf vorbereitet, ihren Patient:innen die mit dem Klimawandel verbundenen Gesundheitsrisiken zu vermitteln und dementsprechende Verhaltenstipps zu geben. Hier ist deutlich Aufklärungsbedarf notwendig. (Climate Literacy for Health Professionals) Dabei kann Veränderung auf individueller Ebene erhebliche Auswirkungen haben. Eine Verbindung von persönlichen Gesundheitsgewohnheiten und Klimaschutz – wie der Umstieg auf eine pflanzenbasierte Ernährung oder die Reduzierung von Autoverkehr – könnte weitreichende positive Effekte haben, sogenannte Co-Benefits.
Nichtsdestotrotz kann ein derart komplexes Problem nicht allein auf individueller Ebene „gelöst“ werden, sondern muss auf allen Ebenen stattfinden, von der Allgemeinbevölkerung über Unternehmen bis hin zur Politik, und von Aufklärung bis zu konkreten Maßnahmen reichen. Das zeigt auch eine Studie Planetary Health is Human Health des britischen Konsumgüterunternehmens Reckitt. Demnach wünschen sich 8 von 10 Befragten von Unternehmen Hilfe bei den Themen Gesundheit und Klima, und Informationen dazu, wie sie sich und ihre Familie vor klimabedingten Gesundheitsgefahren schützen und wie sie ihren eigenen Einfluss auf den Klimawandel verringern können.
Die Doppelrolle des Gesundheitssektors
Der Gesundheitssektor selbst ist paradoxerweise sowohl „Opfer“ als auch „Täter“ im Kontext des Klimawandels. Einerseits tragen Krankenhäuser, medizinische Einrichtungen und Pharmaunternehmen durch ihren hohen Energieverbrauch und Ressourcenbedarf zur Emission von Treibhausgasen bei. Denn der Sektor ist global für fast 5 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich und liegt damit vor der Luftfahrt und Schiffverkehr. Andererseits steht der Sektor vor der großen Herausforderung und Doppelverantwortung, die wachsenden gesundheitlichen Folgen des Klimawandels zu bewältigen.
Der ökonomische Druck wächst ebenfalls. Die steigenden Kosten für die Gesundheitsversorgung belasten nicht nur die Krankenversicherungssysteme und Staatssysteme, sondern auch die ohnehin schon benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Jene Gruppen, die ja zudem am anfälligsten für die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels sind. (Deloitte, 2022) Ein Bericht des National Bureau of Economic Research (NBER) schätzt, dass jeder zusätzliche Grad Celsius an globaler Erwärmung die Gesundheitskosten um 2,4 % des globalen BIP erhöhen könnte.
Unternehmen haben hier die Verantwortung, aber auch die Doppelchance, eine Führungsrolle zu übernehmen, indem sie nicht nur ihre eigenen Geschäftspraktiken ändern, sondern auch aktiv in Prävention und Aufklärung investieren. Viele Unternehmen setzen inzwischen auf Emissionsreduktion in ihrer Wertschöpfungskette. Aber es geht nicht nur darum, den eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Unternehmen können sich auch aktiv für Zugang zu Gesundheitsversorgung und Gesundheitsaufklärung einsetzen, Forschung fördern und Ausbildungsprogramme für Gesundheitspersonal entwickeln.
„Teach the teacher“ oder die besondere Rolle von Gesundheitspersonal als Bildungsmultiplikatoren
Die zentrale Rolle von Unternehmen geht also über ihre eigene betriebliche Verantwortung hinaus und sie haben nicht nur die Chance, sondern auch eine Pflicht zur Positionierung. Gesundheitsfachkräfte, denen ein hohes Maß an Vertrauen entgegengebracht wird, könnten durch gezielte Weiterbildungen in die Lage versetzt werden, die Bevölkerung über die Zusammenhänge von Klimawandel und Gesundheit aufzuklären. Denn Bildung ist der Schlüssel und Schulungen, Informationskampagnen und klimabezogene Forschung sind nur einige Beispiele.
Bei den Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit handelt es sich um ein globales Problem, das aber lokal gelöst werden muss. Besonders Apotheker:innen genießen großes Vertrauen in der Gemeinschaft und könnten als Multiplikatoren auf lokaler Ebene dienen. In Zeiten des Klimawandels und den daraus resultierenden gesundheitlichen Herausforderungen kann diese Rolle noch wichtiger werden – als Berater:innen für Wohlbefinden und Gesundheit von Mensch und Erde.
Am 25. September feiern Apotheker:innen auf der ganzen Welt den „World Pharmacists Day“. Ein Tag, der auf eben diese Rolle der Apotheker:innen zur Verbesserung der Gesundheit aufmerksam machen soll. Dieses Jahr unter dem passenden Motto: „Pharmacy strengthening heahlt systems.“
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