Vermutlich ist es nicht wirklich überraschend, einen Erlebnisbericht der Cannes-Lions 2017 im Jahr 1 nach Trump und Fake News mit dem Kampf um Wahrheit zu überschreiben.
Die Cannes Lions sind auch immer ein Trendbarometer unserer Branche bzw. unseres Ausschnitts von Welt und Wirklichkeit. Offensichtlich müssen Marketing und Medien, Kommunikation und Content, Kreation und Innovation Reflektoren von Zeitgeist und soziokultureller Strömungen sein. Entsprechend diesem Kontext schien Cannes 2017 politischer und aktivistischer als je zuvor oder zumindest seit langem. Nicht zuletzt erhielt die These von Paul Holmes, „political neutrality is not an option“ starke Rückendeckung.
Aber insbesondere in dem Kampf um Wahrheit und Wahrhaftigkeit verbirgt sich eine Aufgabe bzw. Mission, die für unser Tun tiefer und grundsätzlicher erscheint, als nur Trendumfeld und Insight oder Erzählanlass für Brand Purpose.
Neben einigen sehr existenziellen Fragen zum aktuellen Medienspektrum, kamen im Laufe des Festivals zwei fundamentale Herausforderungen recht klar ans Tageslicht. Sie sind verwoben in ihrem Charakter bzw. ihren Konsequenzen.
Inhalte: Wahrheit, Lüge, Bullshit
Eine beeindruckende Vorlesung von David Remnick, dem Chefredakteur des Magazins New Yorker, nahm im Rückgriff den Philosophen Harry Frankfort und seine inspirierende Theorie zum Verhältnis von Wahrheit, Lüge und „Bullshit“ auf – natürlich gewürzt durch eine Bewertung des Kommunikationsverhaltens des aktuellen US-Präsidenten. Ein Verdacht, in welche der drei Kategorien ca. 80 Prozent dieses Outputs laut Meinung von David Remnick fallen, drängt sich vermutlich (oder hoffentlich) jedem Leser unmittelbar auf.
Während der Lüge und der Fälschung aus ethischer Sicht zugute gehalten werden muss, immerhin die Existenz des Konzepts Wahrheit anzuerkennen, verhält sich „Bullshit“ zu Fragen von Wahr oder Falsch vollständig indifferent. Für jedes Medium stellt sich in der Zukunft die Frage, wie man sich zum einen zum Thema Lüge stellen möchte. Zum anderen muss man hinterfragen, welche Aufwendungen betreiben kann und will, um diese zu entlarven und damit zu eliminieren. Insbesondere für Social Media stellt sich hier laut Remnick eine existentielle Herausforderung. Sowohl mit Blick auf die eigene Licence To Operate, als auch sicher aus demokratietheoretischer Perspektive.
Wahrhaftigkeit in der Social-Media-Welt
Während die eine Perspektive also eher die Wahrhaftigkeit der Inhalte von Medien hinterfragt, stellt die zweite große Herausforderung die Wahrhaftigkeit der Konstruktion von insbesondere Social Media in Frage. Proportional zum Wachstum der St(r)andflächen der Facebooks und Googles an der Croisette schwillt auch der Protestgesang aus der Marketing-Gemeinde an in Richtung dieser Akteure. Ihre unmissverständlichen Forderungen: Sorgt endlich für Transparenz und belastbare Wahrheit im Bezug auf die Performance der Digitalen/Social Plattformen!
Wenn Marc Prichard, CMO von Procter&Gamble und Keith Weed hier komplett harmonisch in das gleiche Horn blasen, so muss das schon als klares Signal gewertet werden. Sie wollen im Bereich digitaler Werbung klare Standards schaffen für Vergleichbarkeit, Sicherheit und Vollständigkeit.
Die Verbindung zwischen Inhalt mit erheblichen Wahrhaftigkeitslücken und Formaten mit Wahrheitsdefiziten stellte dann der CEO der New York Times her. Er spitzt die Situation mit der Aussage zu, digitale Werbung sei aktuell ein „Albtraum-artiger Witz“. Natürlich darf ideologiekritisch nicht übersehen werden, was das traditionelle Kernprodukt der NYT ist. Aber auch unabhängig davon setzte die Diskussion über sowohl die redaktionelle, als auch Performance-bezogene Wahrhaftigkeit im digitalen Medienspektrum eine sehr dominante Note in Cannes. Sie wird einen großen Fokus auch für unsere Arbeit darstellen.