Autor:innen:
Weber Shandwick: Viola Raddatz, Jan Dirk Kemming
The Goodwins: Franka Mai, Bernd Meyer, Tim Stübane
“Wie würde es Apple machen?” fragen wir uns alle hin und wieder. Apple ist seit Jahrzehnten Role Model für die Werbebranche und CEOs weltweit und vermutlich eine der meistreferenziertesten Marken der Welt. Ihr vor wenigen Wochen erschienener Spot „2030 Status Mother Nature“ sorgt in der Marketing- und Sustainability-Community derzeit für hitzige Debatten: Ist das die Zukunft der Nachhaltigkeitskommunikation? Oder einfach nur sehr gut gemachtes Greenwashing?
Attention – speak different
Zweifelsohne kann man feststellen, dass der Spot Apple gehörige Aufmerksamkeit beschert – der Clip wurde allein bei YouTube in 3 Wochen 4 Millionen Mal aufgerufen. Damit ist er mindestens ein Universum entfernt vom klassischen angestaubten Nachhaltigkeitsbericht, der vielleicht ein paar hundertmal aufgerufen wird, wenn es sehr gut läuft. Nachhaltigkeitskommunikation goes mainstream. Das könnte die gute Botschaft sein. Eine der meistbegehrtesten Marken der Welt kommuniziert unterhaltsam über ihr Nachhaltigkeitsengagement mit Apple CEO Tim Cook und der Oscar-gekrönten Hollywood-Schauspielerin Octavia Spencer in den Hauptrollen. Kosten und Mühen wurden hier nicht gescheut, das Ergebnis kann sich mehr als sehen lassen. Apple gelingt es, das zuweilen schwerkostige Thema Nachhaltigkeit locker und mit Augenzwinkern in unter 6 Minuten zu packen. Respektable Leistung. Wer aber genauer auf den Inhalt des Videos schaut, dem fallen einige verpasste Chancen und vor allem eine intransparente wie deutlich fragmentierte Berichterstattung auf.
Wesentlichkeit – missed opportunity
Zuerst einmal ist zu nennen, dass Apple in seinem Status Report an Mother Nature ausschließlich über Ziele und Aktivitäten im Bereich Umwelt spricht. Themen aus dem Bereich der sozialen Verantwortung fehlen. Geht das? Gehören nicht beide Bereiche zu so einem Status Report untrennbar zusammen und würden Mother Nature nicht genauso interessieren? Arbeitsbedingungen und soziale Verantwortung in der Lieferkette werden zum Beispiel komplett ausgeklammert.
Dann muss, zumindest den Zuschauern in Europa, das selbstbewusst zitierte „Carbon Offsetting“ und die mühsame carbon-neutral-Produktperspektive heftig aufstoßen. Denn in Brüssel wird gerade ziemlich genau zeitgleich und inhaltlich passend mit der „Green Claims Directive“ ein Verbot solcher auf Offsetting basierender Klimaneutralitätsclaims für 2026 umgesetzt. Damit ist der Claim „klimaneutral“ quasi verbrannt in Europa.
Der Clip strotzt insgesamt nur so vor scheinbar beeindruckenden Kennzahlen, die durch rhetorisch gekonnte Nachfragen von Mother Nature oder Tim Cook noch einmal gut in Szene gesetzt werden. Ob die Zahlen zu beispielsweise Wasserverbrauch oder Emissionsreduktionen im Transport nun viel oder wenig sind, lässt sich nicht nachvollziehen, denn Vergleichsrahmen oder Anbindungen an anerkannte Standards und Regelwerke fehlen im Clip komplett.
Andere Themen, die gerade im Tech-Bereich „hot stuff“ der Nachhaltigkeitsagenda sein sollten, vermissen wir: So wird Zirkularität mit dem angesprochenen Einsatz von recyceltem Aluminium in den Produkten nur angeschnitten, aber als strategisches Oberthema verpasst. Gerade das ist aber eine der zentralen Schwachstellen in ihrem Produktportfolio: So weisen doch viele neue Apple Devices eine eher niedrigere als verbesserte Reparierbarkeit auf. Wie gehen sie dieses zentrale Thema holistisch an? Wie plant Apple Technikschrott zu reduzieren und damit die Ausbeutung von Ressourcen effektiv zu verringern?
Wichtige Fragen und Themen werden ausgeklammert und die sehr selektive Darstellung ihrer Sustainability-Agenda ohne anerkannten Vergleichsrahmen schliddert klar in den Bereich des Greenwashings, wenngleich eine umfangreiche Nachhaltigkeitsberichterstattung vorliegt und in den Show Notes verlinkt wird.
Kreative Umsetzung – Exzellenz mit Sternchen
Was die kreative Umsetzung des Videos betrifft, können wir Apple nur Bestnoten geben. Mit exzellentem Storytelling, Casting und Exekution setzt der Konzern eine neue Benchmark der Nachhaltigkeitskommunikation. Die Story ist unterhaltsam und gut erzählt von Anfang bis Ende. Ist es Hybris, dass Mother Nature sich allen Ernstes herablassen würde, Apple zu besuchen? Ein bisschen wahrscheinlich schon. Aber man hätte so viel langweiligere Spots machen können, um den Content zu verpacken, die niemanden interessiert hätten.
Apple sendet hier ein Signal an andere (Tech-)Firmen, das man nicht unterschätzen sollte. Mit dem Clip legt Apple eine Messlatte und schließt an die “Think Different” Markenhistorie an. Dazu kommt die metaphorische und symbolische Referenz an das Announcement “Earth is our only shareholder” des Outdoor-Herstellers Patagonia vor genau einem Jahr. Apple stellt damit die Marken in einem “ideologischem Co-Branding” auf Augenhöhe. Das ist eventuell ein bisschen vermessen, aber schlau.
Empowerment – the bigger picture
Ein Nebeneffekt des hervorragenden Storytellings ist sicherlich das gute Gefühl, mit dem der Clip den Zuschauer entlässt: „Die machen das schon. Und zwar richtig gut. Dann muss ich weniger machen“. Apple scheint uns als Konsumenten mit dem Spot die ganze Last zu nehmen. Das ist trügerisch. Es fehlen Aspekte, die uns Konsumenten Transparenz, Bewertungs- und Entscheidungshoheit geben. Gibt es transparente Vergleichsparameter zu anderen Wettbewerbern und ihren Erfolgen und Produkten? Inwiefern bewegt sich Apple mit seinen Zielen und Kennzahlen im Bereich der planetaren Grenzen? Ist ihr Engagement berechtigt und ausreichend, anbetracht der Größe und Marktmacht des Konzerns? Wie unterstützt Apple uns Konsumenten dabei, die richtige Produktentscheidung zu treffen, Geräte zurückgeben zu können in den Wertstoffkreislauf oder Energie zu sparen? Die stolze Präsentation der “Climate neutral watches” gegen Ende des Clips laden den Konsumenten nur wieder einmal ein, gedankenlos (Apple Produkte) weiter zu konsumieren ohne eine informierte Entscheidung zu treffen und die eigenen Konsummuster kritisch zu hinterfragen. Jetzt kann man sagen: So funktioniert Werbung nun mal und strategisch clever ist die Verbindung von Produkt-/Launchkommunikation und Unternehmenskommunikation an der Stelle allemal. Dennoch: es bleibt der fahle Beigeschmack einer fortgesetzten Irreführung der Konsumenten durch verzehrte Faktendarstellungen und verpasstem Konsumenten-Empowerment.
Fazit
In der Summe ist das Mother Nature-Video von Apple ein solider Versuch, die Komplexität des Themas so zu vermitteln, dass es auch Menschen, die sich nicht beruflich mit Nachhaltigkeit beschäftigen, erreicht. Das ist viel wert. In Zeiten des Umbruchs der Nachhaltigkeitsberichterstattung durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) brauchen wir neue Wege und Ansätze der Nachhaltigkeitskommunikation mehr denn je. Wenn „echte“ Nachhaltigkeitsinformationen maschinenlesbar in die Finanzberichterstattung der Unternehmen abwandern und damit quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit bleiben, sind neue Wege der Consumer-Kommunikation dringend geboten. Zumal die Green Claims Directive, die ebenfalls auf EU-Ebene im Anmarsch ist, die Nachhaltigkeitskommunikation weiter beschneiden und Unternehmen womöglich abschrecken wird zu ihrem Nachhaltigkeitsengagement zu sprechen.
Andererseits verpasst Apple mit dem Clip leider die Chance, ein echter Sustainability-Leader und Vorbild für andere große Unternehmen zu sein. Indem sie sich ein bisschen zu sehr feiern für ihre eventuell gar nicht so ambitionierte Sustainability Roadmap, lassen sie ihre Verantwortung gegenüber Wettbewerb, Industrie und den Konsumenten leider ziemlich links liegen.
*Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Green Wednesday – Newsletter der Absatzwirtschaft.
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