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Agenturen und ihre Lieferketten: Weil AI eben doch von Menschen gemacht ist

Große wie kleine Agenturen sind von neuen Lieferkettengesetzgebungen betroffen

Lieferketten stehen seit einiger Zeit im regulatorischen Fokus. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzt (LkSG) ist seit diesem Jahr in Deutschland in Kraft und verpflichtet Unternehmen ab einer gewissen Größe dazu, Sorgfaltspflichten in ihrer Lieferkette nachzukommen. In Frankreich gilt bereits eine ähnliche Regelung und auch die EU arbeitet an einer Direktive zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten (CSDDD), die schon Ende des Jahres verabschiedet werden soll.[1]

In einigen Fällen fallen auch Agenturen oder Agenturgruppen direkt selbst unter die gesetzlichen Regelungen. In Deutschland ist das ab 2024 beispielsweise bereits ab 1.000 Mitarbeitenden der Fall.  Noch wahrscheinlicher ist jedoch, dass Agenturen indirekt über ihre Kunden in die Pflicht genommen werden.[2] Sind diese Kunden berichtspflichtig, müssen sie von allen Vertragspartnern Informationen zu deren Lieferketten einholen, um ihren gesetzlichen Verpflichtungen im Reporting nachkommen zu können – Marketing und Kommunikation explizit eingeschlossen.

Es ist daher wahrscheinlich, dass solche Informationen künftig bei Agenturen abgefragt werden. Die eigene Lieferkette zu kennen und Informationen entsprechend aufbereitet zur Verfügung stellen zu können, könnte Voraussetzung für den Abschluss eines Rahmenvertrages mit Corporates oder anderen großen Unternehmen werden.

Was wird von Unternehmen erwartet?

In erster Linie muss die eigene Lieferkette erfasst und auf Risiken überprüft werden. Die Erfassung der Lieferkette wird oft als Mapping bezeichnet und da auch Sub-(Sub-)Dienstleister – also Zulieferer der eigenen Dienstleister – Teil der eigenen Lieferkette sind, wird die Erfassung schnell sehr komplex. Die größte Herausforderung liegt für Unternehmen meist darin, die notwendigen Daten zu sammeln und überhaupt ein umfassendes Verständnis der eigenen Lieferkette zu entwickeln. Sind die Risiken einmal erfasst, müssen sie nicht nur berichtet werden, wie nach den meisten aktuellen Regelungen (z. B. Modern Slavery Act (UK)) gefordert, das Unternehmen muss die entdeckten Risiken zukünftig auch aktiv managen.

Ein Teil dieser Risiken sind sogenannte „bekannte Risiken“. Diese beziehen sich oft auf bestimmte Regionen oder Branchen, in denen in der Vergangenheit Menschenrechtsverletzungen bekannt geworden sind – oft im globalen Süden.[3] Menschenrechtliche Risiken können aber ebenso innerhalb Deutschlands oder der EU auftreten, unter anderem der Reinigungssektor und das Baugewerbe gelten auch hierzulande als risikoreiche Branchen. In diesen bekannten Bereichen muss ein Unternehmen grundsätzlich von einem erhöhten Risiko ausgehen.

Alle Risiken müssen im Rahmen des LkSG jährlich mindestens analysiert und in einem ausführlichen Fragebogen an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) berichtet werden. Sind Risiken oder gar Verstöße bekannt, muss das Unternehmen außerdem zeigen, dass es aktiv versucht, diese zu minimieren: etwa durch Audits von Fabriken, der Schulung von Arbeitern oder der Verabschiedung einer entsprechenden Einkaufsrichtlinie.

Wie wird eine Lieferkette definiert? – Vom Kugelschreiber bis zur AI-Anwendung

Gerade in Unternehmen, die nicht zum produzierenden Gewerbe gehören, herrscht oft noch das Selbstverständnis, gar keine Lieferkette zu haben. Die gesetzliche Definition ist, wie oben beschrieben, jedoch bewusst weit gefasst. Grundsätzlich gilt: Wenn es zur Wertschöpfung beiträgt, ist es Teil der eigenen Lieferkette.  

Zur Lieferkette einer Agentur gehören damit beispielsweise Büromaterialien, die technischen Geräte der Mitarbeitenden, für den Kunden eingekaufte Produkte wie Shirts oder anderes Merchandise oder alles, was rund um Produktionen und Events gekauft und gebucht wird. Allein damit kommen schnell hunderte Dienstleister zusammen.  

Noch komplexer wird die Agenturlieferkette mit Blick auf AI-Softwarelösungen. Die Anwendungen haben die Branche in Aufregung versetzt und sind vielerorts bereits im operativen Tagesgeschäft angekommen. Vor allem in den Kreationen bieten die Tools viele neue Möglichkeiten. Wenn in einer Agentur regelmäßig die Google-Suche genutzt wird, mag sich argumentieren lassen, dass dies nicht nennenswert zur Wertschöpfung beiträgt. Wenn ein hochentwickeltes Tool aber im eigenen Kerngeschäft – der Erstellung kreativer Assets – zum Einsatz kommt und maßgeblich zu deren Entstehung beiträgt, kann durchaus von Wertschöpfung gesprochen werden.

Bei Menschenrechtsverletzungen denken viele an die Produktion von Gütern oder den Abbau von Rohstoffen. Aber auch digitale Anwendungen können menschenrechtliche Risiken mit sich bringen.[4] Besonders viel wurde in diesem Zusammenhang über ChatGPT berichtet, die Risiken sind jedoch beispielhaft für alle AI-Technologien.

Der Begriff AI suggeriert, dass das Produkt frei von menschlicher Arbeit ist, tatsächlich steckt jedoch einiges an menschlicher Arbeit in Produkten wie dem Chatbot[5], zum Beispiel beim Sortieren und Beschriften von Datenpunkten.[6] Diese Arbeit wird meist im globalen Süden und in undurchsichtigen Zulieferstrukturen und Beschäftigungsverhältnissen geleistet und bietet daher potentiell ein erhöhtes Risiko für Menschenrechtsverletzungen. Im direkten Zusammenhang mit ChatGPT sind in den letzten Monaten Fälle sexueller Belästigung, schlechter Bezahlung und mentaler Belastungen durch den ungeschulten Umgang mit schädlichen Inhalten bekannt geworden[7] [8]

Auch wenn im Falle von AI-basierter Software der sogenannte „Verursachungsbeitrag“ einer einzelnen Agentur eher klein sein dürfte und daher vermutlich keine direkten Maßnahmen im Rahmen der Sorgfaltspflichten erforderlich wären – in der Risikoanalyse müssen solche Risiken zumindest einmal jährlich erfasst und bewertet werden.

Fazit: Ein neues Bewusstsein ist notwendig.

Bisher werden digitale Produkte und Dienstleistungen in der Agenturbranche noch nicht als Teil der Entstehung unserer eigenen Kreativdienstleistungen wahrgenommen, aber die zunehmende Regulierung in diesem Bereich kann diesbezüglich neue Standards setzen. Auch die Agenturbranche muss sich daher verstärkt Gedanken darüber machen, wie ihre Produkte und Dienstleistungen entstehen und welche Risiken ihre Lieferketten enthalten.

Eine besondere Herausforderung wird darin bestehen, dass Agenturen im Gegensatz zu großen Unternehmen meist keinen zentralen Einkauf haben. Produkte und Dienstleistungen werden von Abteilungen wie der Kreation, der Beratung oder dem Art Buying selbstständig übernommen. Dies dürfte das Aufsetzen entsprechender Prozesse und den Aufbau von Fachwissen im Agentursektor erschweren.


[1] ESG Now, Podcast by MSCI (7. Juli 2023)

[2] Bundesministerium für Arbeit und Soziales

[3] BAFA 2022

[4] BSR 2022

[5] The Verge

[6] Time Magazine

[7] The Wall Street Journal

[8] Financial Review

Picture Credit: Photo from Joshua Sortino via Unsplash