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Brexit: Das Vereinigte Königreich hat ein komplexes und gefährliches Pokerspiel mit der EU angefangen. Was wir vom Austritt der UK mitnehmen, ist, dass sich das Netz um Verhandlungen und Verstrickungen bereits entfaltet und sich noch viel mehr ausweiten wird.
Das Ergebnis
Die Aufteilung war wie folgt:
- „Leave“ – 51.9% (17.41 Millionen)
- „Remain“ – 48.1% (16.14 Millionen)
72.2 Prozent der Bevölkerungen haben abgestimmt, eine der höchsten Wahlbeteiligungen in den letzten Jahren, obwohl sie den Rekord von 1992 mit 72,3 Prozent knapp verfehlt hat. Damals wurde über den Beitritt der EU abgestimmt. Die Aufteilung zwischen den Altersgruppen ist ebenso bemerkenswert. So haben 75 Prozent der 18-24-jährigen abgestimmt zu bleiben. Dieser Fakt wird sicherlich ein wichtiger Bestandteil in der zukünftigen Debatte sein.
Wie nach Alter gewählt wurde (Quelle: YouGov-Umfrage):
- 18-24: 75% – Remain
- 25-49: 56% – Remain
- 50-64: 44% – Remain
- 65+: 39% – Remain
Mit Blick auf die räumliche Verteilung weist der Zusammenbruch starkw sozioökonomische Merkmale auf: mit dem Norden und Osten Englands sowie Wales, die eindeutig gegen die EU wählten und London, Nordirland und Schottland, die für „Remain“ voteten. Die wirtschaftlich bedeutenden Bezirke M3 und M4 haben ebenfalls fürs Bleiben abgestimmt.
Die Aufteilung nach Landesteilen
- England – 46.8% Remain vs. 53.2% Leave
- Scotland – 62% Remain vs. 38% Leave
- Wales – 48.3% Remain vs. 51.7% Leave
- Northern Ireland – 55.7% Remain vs. 44.3% Leave
Reaktionen wichtiger Akteure
Mit dem Abstimmungsergebnis, die EU zu verlassen, hat am Freitagmorgen David Cameron, Prime Minister von Großbritannien, seinen Rücktritt bekannt gemacht und ihn wie folgt begründet: “The British people have made a very clear decision to take a different path. And, as such, I think the country requires fresh leadership to take it in this direction. I will do everything I can as Prime Minister to steady the ship over the coming weeks and months. But I do not think it would be right for me to try to be the captain that steers our country to its next destination.”
Bezeichnenderweise steht seine Entscheidung in Verbindung zu dem Artikel 50 des EU-Vertrages, der den Austritt definiert, und seinen Nachfolger nicht vor Ende September ins Amt lässt.
Labour Chef Jeremy Corbyn hat in einem Statement die Frustration und die Forderung nach mehr Arbeitnehmerrechten anerkannt, die in vielen Gemeinden als Folge der Ausgabenkürzungen entstand.
UKIP Anführer Nigel Farage hat in seiner Rede verkündet, “der Sieg sei für die einfachen, guten und anständigen Leute…Leute, die genug von den Handelsmännern und Bänkern haben.“
Dagegen sticht eine Anmerkung der Ruhe des Chairman oft he House of Lords EU Committee, Lord Boswell of Aynho, hervor, der an alle Parteien appelliert die Entwicklungen dringend nochmals Revue passieren zu lassen, damit die UK auch weiterhin eine produktive und vorteilhafte Beziehung mit der EU haben kann, wenn auch als Nicht-Mitglied der Union.
Die finanziellen Märkte
Viele Finanzkommentatoren warnten vor den Auswirkungen, die eine positive Brexit-Abstimmung mit sich tragen würde – und deren Warnungen nun bestätigt wurden: mit einem Pfund-Kurs, der in einem 30-Jahres-Tief klafft und einem FTSE100, der um 8,7% fiel.
Die Auswirkungen sind nicht so schlimm wie die 20 Prozent, die von George Soros, der City economist, vorhergesagt wurden, doch ist es klar, dass die Märkte einer bedeutenden Periode an Unsicherheit entgegen schauen müssen, was zu einer Verzögerung von Investitionen und einer wirtschaftlichen Minderleistung führen wird.
Die Bank of England versuchte bereits, die Märkte zu beruhigen, dass sie nicht zögern wird, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Märkte anzupassen und die britische Wirtschaft weiter nach vorne zu bringen. Während viele Unternehmen ihren Mitarbeitern schnell versicherten, dass keine unmittelbaren Entscheidungen getroffen werden, ist es noch nicht klar, was die langfristigen Auswirkungen tatsächlich sein werden.
Westminster
Während David Cameron zurückgetreten ist, bleibt abzuwarten, wie viel länger es bei Schatzkanzler George Osborne dauern wird. Mehrere Abgeordnete haben sich bereits für seinen Rücktritt ausgesprochen und nur wenige gehen davon aus ohne Cameron an seiner Seite zu überleben. Für Boris Johnson stehen die Chancen gut Nachfolger von Cameron zu werden, gefolgt von Theresa May, die deutlich Pro-Remain ist.
Reaktionen aus Brüssel
Viele EU-Chefs haben ziemlich schnell ihren Respekt für die Entscheidung ausgedrückt, während sie gleichzeitig ihre eigenen Mitgliedschaften bekräftigt haben. Bis zum britischen Referendum gab es im Vorfeld noch Reformgespräche und wir können durchaus erwarten, dass diese Gespräche auch weitergeführt werden – betrachtet man nur einmal die rechts-orientierten Parteien in Dänemark, Frankreich und Italien, die bereits ihr eigenes Referendum einfordern. Natürlich besteht die Sorge, dass Brexit eine Art Dominoeffekt nach sich zieht, zu vielen Debatten und Fehlverhalten führt. Vielleicht in einem Versuch, diese einzudämmen, hat der Europäische Rat das Vereinigte Königreich aufgefordert, die Europäische Union „so schnell wie möglich zu verlassen, so schmerzhaft der Prozess auch sein mag. Jegliche Verzögerung würde nur die Unsicherheit im Volk ausdehnen.“
Währenddessen hat der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, schnell verkündet, dass Großbritannien weiterhin dem EU-Recht unterliegt bis zu dem Punkt, an dem wirklich Schluss ist, zweifelsohne ein Argument gegen das „Leaver’s camp“, die damit daran gehindert sind, schnelle Reformen zu Themen wie zum Beispiel Einwanderung zu machen.
Beim Gipfel des Europäischen Rates nächste Woche, werden 27 Mitgliedsstaaten Druck auf die UK ausüben den Artikel 50 unmittelbar auszulösen. Inzwischen wird sich auch das Europäische Parlament diese Woche treffen, um nötige nächste Schritte für die EU zu besprechen. Es wird sicherlich das ein oder andere Notfall-Meeting zwischen EU-Institutionen geben und wir können sicherlich erwarten, mehr Reaktionen aus Europa in den nächsten Tagen zu erhalten.
Reaktionen aus Schottland
Angus Robertson, der Westminster SNP Anführer, machte in einer Stellungnahme klar, dass Schottland gegen seinen Willen aus der EU herausgenommen wird. Laut des SNP Manifestos, könnte dieser Umstand als ein „signifikanter und materieller“ Wandel beurteilt werden, der damit zu einem prompten zweiten Referendum führen kann.
Schottische Wähler können durchaus auf den Ausgang ziemlich wütend sein, hatten sie doch ganz eindeutig für „IN“ (62%) gewählt und wurde ihnen beim letzten Referendum auch versprochen, dass Teil von UK zu sein auch bedeute, Mitglied der EU zu bleiben.
Die erste Ministerin Schottland Nicola Sturgeon sagte, dass sie alle möglichen Mittel erkunden will, um für Schottland einen Platz in der EU sicherstellen zu können und das ein zweites Referendum definitiv auf dem Tisch liege. Sie hatte ebenfalls darauf hingewiesen, dass die schottische Regierung bereits rechtliche Schritte für dieses Referendum in Gang bringt, ob und wenn das Parlament es erfordert. Allerdings wird es auch unwahrscheinlich sein, dieses Referendum tatsächlich durchzuführen, es sei denn, sie ist sich sicher zu gewinnen.
Reaktionen aus Wales
Mit Blick auf die Aufteilung der Stimmen, stimmten die wohlhabendsten Gegenden von Wales, also Cardiff und andere Metropolen, dafür zu bleiben, während es auf der anderen Seite eine starke „Leave“-Seite gab.
Erster Minister Carwyn Jones hat seine Enttäuschung zum Ergebnis schnell zu Ausdruck gebracht forderte Wales dazu auf in vollem Umfang an den EU-Verhandlungen beteiligt zu bleiben. Er hat auch darauf hingewiesen, dass Wales ein klarer Netto-Empfänger der EU-Mitgliedschaft ist und warnte davor, dass Brexit Wales nicht einen einzigen Cent kosten sollte.
Reaktionen aus Nordirland
Die Stimme in Nordirland war sehr an regionalen Community-Grenzen unterteilt, mit einer Mehrheit von Unionern gegen die EU, und einem kleineren Teil an Nationalisten für die weitere Mitgliedschaft.
Es ist sehr unwahrscheinlich für Nordirland ein Referendum über die Vereinigung mit der Republik Irland ins Leben zu rufen, da sie sich an zu viele verfassungsrechtliche Vorschriften halten müssen, einschließlich der Bedingung, dass der Secretary of State Northern Ireland nur ein Referendum ausrufen darf, wenn er daran glaubt, dass die Mehrheit der Bevölkerung einer Vereinigung mit Irland nicht abgeneigt wären. Doch das Potential für ein Vereinigtes Irland oder Ausstieg von Nordirland aus der UK sind nahezu verschwindend gering. Trotz Sinn Fein’s häufiger Forderung nach einem Referendum, deutet alles darauf hin, dass nur bis zu 25 Prozent der Sinn-Fein-Wähler für ein Vereinigtes Irland stimmen würden.
Dabei ist Nordirland in einer einzigartigen Position in Großbritannien, da es der einzige Teil ist, der eine Landgrenze mit der EU teilt – was unweigerlich Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel haben wird. Das Niederreißen einer „harten“ Grenze war eines der sichtbarsten Symbole des Friedensprozesses in Nordirland. Es bleibt also abzuwarten, ob die britische Regierung wirklich bereit ist, diese wieder hochzuziehen – und wenn ja, welche Auswirkungen und Ausschreitungen dies mit sich bringen würde.