Nachhaltiges Reisen beschäftigt uns nicht erst seit gestern: Ausdruck dafür ist die schon in den 70er Jahren gestartete „Leave no trace“-Bewegung. Kürzlich folgte der Begriff Flugscham, der seit 2020 im Duden steht und an dem abzulesen ist, dass die Benutzung von Flugzeugen als Verkehrsmittel gesellschaftlich an Stellung verloren hat, oder auch der sogenannte Impact Travel, bei dem Urlauber:innen ihren Aufenthalt mit einem Engagement vor Ort verbinden. Eine wichtige Rolle für schadstoffarmes Reisen spielen auch die öffentlichen Verkehrsmittel, befeuert 2022 durch die revolutionäre Einführung des 9-Euro-Tickets. Laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen konnten durch drei Monate 9-Euro-Ticket 1,8 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Gleichzeitig berichtet der Flughafen Köln-Bonn, dass in den NRW- Sommerferien rund 1,6 Millionen Passagiere den Flughafen genutzt haben – 55 % mehr als im Vorjahr 2021 und rund 80 % mehr als im Jahr 2019 vor der Corona-Pandemie. Beliebteste Ziele waren Antalya, Palma de Mallorca und Istanbul. Das Flugzeug ist bekannter Weise ökologisch am schlechtesten zu bewerten, viele Ziele sind jedoch am besten oder sogar nur mit dem Flugzeug zu erreichen. Stellt sich die Frage, wo wir noch ansetzen können, um nachhaltiger zu reisen und: Wer ist eigentlich in der Verantwortung?
„Leave No Trace“
Das Prinzip der „Leave no trace“-Kampagne“ ist einfach: Es geht darum, keine Spuren in der Natur zu hinterlassen und beim Urlaub alles so zu hinterlassen, als wäre man nie dagewesen. Aber nicht nur vor Ort hinterlassen wir bei einer Reise Spuren, sondern auch bei An- und Abreise. Wir haben Einfluss auf Mensch und Natur entlang der Reise.
Die meisten denken beim Begriff „nachhaltiges Reisen“ vermutlich zuerst an die ökologische Komponente, an kurze Wege, nicht zu fliegen und im Optimalfall sogar das Auto stehen zu lassen oder schadstoffarm zu reisen. Klimaschutz durch Einsparung von CO2 vor allem bei der Anreise ist wichtig, aber eben auch, Mensch und Umwelt vor Ort nicht zu belasten, denn diese sollten vom Tourismus profitieren und nicht darunter leiden. Das Ziel ist es also, ökologisch nachhaltig und verantwortungsvoll zu reisen. Dazu gehört zum Beispiel, verantwortungsvoll mit Ressourcen vor Ort umzugehen, Energie zu sparen, respektvoll mit kulturellen Besonderheiten umzugehen, Müll richtig zu entsorgen und Wasser zu sparen, wo dies sowieso ein knappes Gut ist. Also nicht in Krisengebiete oder Regionen zu reisen, wo bereits Wasserknappheit herrscht oder verheerende Waldbrände wüten, wie zuletzt in Portugal und letztes Jahr in Griechenland. Diese Gegenden brauchen und leben zwar vom Tourismus, aber hinsichtlich einer Reise dorthin ist es sinnvoll, sich vorher über die Jahreszeit Gedanken zu machen.
Viele Akteure, ein Ziel
Jede:r kann und muss einen Beitrag leisten, damit Reisen nachhaltiger wird. Politik, Unternehmen und Reisende. Und es gibt bereits viele erfolgreiche Ansätze: Das 9-Euro-Ticket ist dieses Jahr ein voller Erfolg in Deutschland gewesen. Sogenannte „grüne Hotels“ (Scandic, Room2 und 1hotels, um nur einige zu nennen) sowie nachhaltige Reiseanbieter und -portale (Bookitgreen, BookDifferent, Fairweg etc.) sprießen nur so aus dem Boden. Hotels setzen unter anderem auf die Verwendung von 100 % Ökostrom, ein nachhaltiges Essensangebot (vegan, lokal),Fassadenbegrünung, und Subventionen von öffentlichen Verkehrsmitteln vor Ort, um die Auswirkungen des Aufenthalts zu minimieren. Anbieter sogenannter Öko-Reiseportale setzen häufig auf Nachhaltigkeitssiegel (EarthCheck, Biosphere, TourCert etc.) und Kompensationszertifikate (etwa durch Anbieter wie Atmosfair, Climate Fair, Klima Kollekte und weitere) bei ihren Bewertungen. Mittlerweile gibt es auch in diesem Bereich bereits wieder so viele Siegel und Labels, dass Reisende wohl am einfachsten „fahren“, wenn sie sich auf konkret umsetzbare Hebel konzentrieren. Denn auch für nachhaltiges Reisen sollte analog zu Kompensation in Unternehmen der Anspruch gelten, zuerst vermeiden, wenn nicht möglich, reduzieren, und erst dann kompensieren. Den meisten Reduktions-Impact haben wohl die Entfernung des Reiseziels, die Art und Weise, wie dieses erreicht wird und, wie lange der Aufenthalt andauert. Auch schlankes Gepäck und mitgebrachter Proviant tragen zum Spritsparen und der Vermeidung von Verpackungsmüll bei. Vor Ort ist es besonders nachhaltig, die öffentliche Infrastruktur oder Fahrräder und lokale Angebote und Restaurants zu nutzen.
Urlaub mit gutem Gewissen
Kompensation und Siegel schön und gut, oft es hakt bei der Umsetzung: 2019 gaben nur 4 % in repräsentativen Befragungen an, Nachhaltigkeit sei ausschlaggebend bei ihrer Reiseplanung gewesen, obwohl 56 % das eigentlich wichtig fanden.
Im Urlaub will man sich eben was Gutes tun, entspannen und sich nicht allerlei Gedanken machen – die Nachhaltigkeit bleibt da meist auf der Strecke. Das spiegelt sich im Reiseverhalten wider: Die Distanzen von Urlaubsreisen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sind, stagniert die Zahl der Reisetage. Folglich geht die Tendenz zu Kurzurlauben in der Ferne. Die steigenden Distanzen seien dabei überwiegend auf Flugreisen zurückzuführen, besonders zu außereuropäischen Zielen.
Ähnlich ernüchternd sehen die Zahlen bei der Nutzung von CO2-Kompensation oder der Orientierung an Nachhaltigkeitssiegeln in derselben Umfrage aus: Eine CO2-Kompensation wird demnach lediglich für 6 % der Kurzurlaubsreisen und 2 % der längeren Urlaubsreisen beansprucht, die Buchung eines Angebotes mit Nachhaltigkeitskennzeichnung nur für 8 % bzw. 6 % der Reisen. Nur für 8 % der Kurzurlaubsreisen und 4 % der längeren Urlaubsreisen seien Nachhaltigkeitsüberlegungen „ausschlaggebend“ bei der Entscheidung gewesen und für weitere jeweils 23 % war Nachhaltigkeit zumindest ein Aspekt unter mehreren.
Eine Sache des Privilegs
Was außerdem auffällt: Es sind hauptsächlich „die Reichen“, die durch Vielfliegen für den größten Teil des globalen Flugverkehrs verantwortlich sind. Etwa 30 % der Menschen weltweit seien laut einer Studie aus dem Jahr 2020 für 93 % des Energieverbrauchs durch Flüge verantwortlich, während auf 50 % der Menschheit die übrigen 7 % entfallen und rund 20 % fliegen gar nicht.
Fazit: Im Endeffekt kommt es wie bei so vielem auf das richtige Maß an. Ein Shoppingtrip nach New York für ein Wochenende ist in der Bilanz deutlich schlechter, als für ein Wochenende ein Ziel innerhalb Deutschlands mit dem Zug anzufahren. Generell gilt: Fernreisen besser für einen längeren Zeitraum planen. Ziel sollte es sein, jede Reise so nachhaltig wie möglich zu gestalten, das beginnt bei der Planung (Reiseziel, Transportmittel, Unterkunft, Gepäck) und ist außerdem Haltung und Verhalten (Aktivitäten, Ressourcennutzung, Müllentsorgung vor Ort). Dazu muss man nicht unbedingt in die Extreme gehen, gar nicht mehr fliegen oder sich gezwungen fühlen, eine Reise mit Engagement vor Ort zu verbinden (Impact travel). Auf die Verhältnismäßigkeit kommt es an.